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Nachdem wir von ihren auf der Art Cologne 2023 ausgestellten Werken begeistert waren, hat sich TheCollector kürzlich mit der in Berlin lebenden Malerin Toni Mauersberg getroffen. Geboren in Hannover, studierte Mauersberg bildende Kunst, Judaistik und Religionswissenschaften in Berlin und Jerusalem.
Mit verschiedenen malerischen Techniken erkundet Mauersberg die verschiedenen Interpretationsebenen, die ein gemaltes Bild enthalten kann, von der Bildtradition bis hin zu Prozess seiner Entstehung. Sie nutzt ihre Kunst auch, um sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man in einer postreligiösen und postrationalen Zeit leben kann. Mauersberg wird derzeit von der Galerie Georg Nothelfer in Berlin vertreten.
In diesem Interview spricht Mauersberg über den Einfluss ihrer Ausbildung und Erziehung auf ihre Kunst, wie sie sich mit Glaubensfragen auseinandersetzt und schlüsselt die eher praktischen Überlegungen auf, die bei ihrer aktuellen Pas de Deux-Serie eine Rolle spielen.
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Wann hast Du zum ersten Mal beschlossen, Dein Leben der Kunst zu widmen? Oder war es etwas, das einfach passiert ist und nicht unbedingt eine Entscheidung war?
Ich würde sagen, dass ich es ein bisschen logisch hergeleitet habe. Ich mag das ganz gerne, wenn man sein Leben als eine Art Bildungsroman betrachtet, sodass die Dinge einen Sinn ergeben.
Ich komme aus einer Familie, die nichts mit bildender Kunst zu tun hat, obwohl sie sehr bürgerlich und sehr akademisch ist. Das heißt, es wird enorm viel gelesen, enorm viel Politik diskutiert und klassische Musik gehört, aber gleichzeitig war ich nie in Museen.
Aber habe ich schon immer gerne gezeichnet, und als der Punkt kam, mich zu fragen, was ich studieren sollte, habe ich überlegt: „Okay, meine Mutter ist Philosophin, und mein Vater ist Tischler.“ Also haben wir sozusagen das sehr Denkende und das Handwerkliche. Das Ergebnis muss dann logischerweise jemand sein, der diese beiden Fähigkeiten gut verbindet.
Ich habe mich also an der Kunsthochschule beworben, aber ich dachte nicht in erster Linie darüber nach, ob man davon leben könnte, das sollte nicht das entscheidende Kriterium sein.
Meine Familie hat die Idee unterstützt, aber sie hat mir auch gesagt, ich sollte vielleicht einen Plan B haben. Ich habe also noch Judaistik und Religionswissenschaften studiert und auch bei Zeitungen hospitiert, sodass ich wusste, dass ich im Notfall auch schreiben oder geisteswissenschaftlich arbeiten könnte.
Es scheint, als hättest Du den Hintergrund Deiner beiden Eltern kombiniert, um eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, die als eine Mischung dieser beiden Disziplinen gesehen werden kann. Es ist toll, dass Du die Einflüsse anerkennst, die du im Leben hattest.
Mein Professor hat mir irgendwann mal gesagt: „Du bist gar kein Künstler, du bist ein nachdenklicher Handwerker.“ Und das war nicht als Kompliment gemeint!
Wenn ich überlege, was ich machen soll und was gut zu malen wäre, überlege ich oft, was mir gerade fehlt, wonach ich Sehnsucht hätte. Die Bilder, die ich male, sind hoffentlich sowohl handwerklich als auch durchdacht.
Ich denke manchmal, dass es in der zeitgenössischen Kunst eine sehr verselbstständigte Sprache und eine Art Jargon gibt. Und es gibt sehr viele Menschen, die sehr intelligent sind, aber der Kunst misstrauen, weil sie denken, „Ja, das ist einfach nur jemand, der Farbe schüttet und herumkrakelt.“ Aber es ist natürlich meist viel komplizierter, nur vermittelt sich das nicht so direkt, warum der eine Krakel besser ist als der andere, und warum das wichtig sein könnte.
Deshalb wollte ich eigentlich Sachen für diese Menschen machen—Menschen, die gerne nachdenken, sehr belesen und geistig sind, die sich aber trotzdem in der Form gespiegelt fühlen und ihre Gedanken dort wiederfinden wollen. Nachvollziehbar und trotzdem überraschend. Das ist mein Ansatz, weil es das ist, was mir selber häufig fehlt.
Lass uns noch über Deinem Studium reden. Du erwähnst, dass Du Judaistik und Religionswissenschaften als eine Art Plan B studiert hast, aber würdest Du sagen, dass sie auch Deine Kunst beeinflusst haben?
Die Kunst kann ein Mittel sein, um über sich selbst, neue ästhetische Formen oder ein bestimmtes Thema nachzudenken. Und Religiosität, der Glaube als Thema wird mich wohl immer beschäftigen. Der Glaube hat im Moment ein ganz krass großes Problem, um ehrlich zu sein.
Ganz oft, wenn ich erzähle, dass ich gläubig bin, sehe ich in den Augen meines Gegenübers, dass er an Leute denkt, die rumsingen, an eine diffuse Projektion beten und die Realität nicht sehen, oder an Fundamentalisten, die andere Leute beschädigen wollen, oder an Leute, die an Türen klingeln um dir irgendwas anzudrehen. Und das halte ich für ein echtes Problem, weil der Glaube eigentlich etwas sehr Schönes ist, einen zu einem besseren Menschen machen sollte, aber gleichzeitig auch enorm schwierig zu verhandeln ist, weil es um unbeweisbare, sehr emotionale Dinge geht. Deshalb gibt es ja auch eine jahrhundertealte Wissenschaft davon, wie Gott beschaffen ist und welche Formen der Glauben annehmen kann.
Ich denke auch, dass man sich teils für den Glauben entscheiden muss; ein ererbter, selbstverständlicher Glaube ist nicht besonders stabil. Meine Familie ist kaum religiös, ich selbst bin nicht mal getauft. Meine Mutter meinte, dass das Kind selber aussuchen müsse, ob es religiös sein will oder nicht. Mein Ur-Ur-Ur-Großvater allerdings war protestantischer Pastor. Seine Predigten gibt es noch, er hat darin versucht, seiner Gemeinde Schopenhauer zu erklären. Ich habe mal ein Porträt ihm gemalt.
Als ich 14 war, hatte ich einen jüdischen Stiefvater, und das war tatsächlich der erste religiöse Stil, der mich überzeugt hat, von da an habe ich mich langsam eingearbeitet. Es geht einerseits um das persönliche Gefühl und dann die richtige Form als Ausdruck im Leben dafür zu finden. Es gibt ein sehr schönes theologisches Konzept, das in Thomas Manns Joseph und seine Brüder-Roman entfaltet wird, über das ich meine Masterarbeit geschrieben habe. Es hat viel mit Erzähltheorie zu tun und damit, so wenig Dogmata wie möglich zu haben; es ist ein sehr abstrakter, aber sehr klarer und sehr persönlicher Glaube. Man ist sozusagen der bewusste Protagonist seines eigenen Lebensromans.
Würdest Du sagen, dass sich Deine persönlichen Überzeugungen in Bezug auf den Glauben in all Deinen Kunstwerken oder nur in bestimmten Serien widerspiegeln? Oder würdest Du sagen, dass Du dich dem Thema Glaube nicht unbedingt aus der Perspektive Deines eigenen Glaubens näherst, sondern der Idee des Glaubens als ein größeres, abstraktes Konzept?
Beides! Aber nicht zwangsläufig, es hängt vom Bild ab.
In diesem Jahr habe ich zum Beispiel ein sehr großes Porträt von einem Freund von mir gemalt mit dem Titel Dark Narcissus. Der Gedanke dahinter war folgender: Wenn jemand nicht mehr gläubig ist, gibt es vielleicht die Neigung dazu, sich selbst an diese leere höchste Stelle zu setzen?
Das ist etwas, was ich bei vielen Freunden beobachte, manchmal auch bei mir selbst, und auch generell im gesamten Westen sehen würde, dass man sich als Zentrum des Kosmos begreift. Und dann aus dieser egozentrischen Perspektive nicht wegkommt, mit allen negativen Konsequenzen.
Man ist schließlich für seine eigenen Handlungen verantwortlich, aber man nimmt sich so wichtig, dass man bei allem, was passiert, unvermittelt die Schuld auf sich lädt. Der ganze Westen fühlt sich auch für alles Unheil in der Welt verantwortlich und er ist auch verantwortlich, aber nicht für alles.
Ich habe einen Freund von mir, der genauso diesem Typus entspricht. Ich haben ihn mit einem gigantischen schwarzen Heiligenschein gemalt, und auf den ersten Blick scheint er einen direkt anzugucken. Aber wenn man vor dem Bild steht, merkt man, dass er dich überhaupt nicht sieht, sondern wie in einen Spiegel und irgendwie auch ins Nichts. Ich habe versucht, in seinem Gesicht sowohl diese innere Zerrüttung als auch diese Selbstverliebheit zu zeigen. Dieses Bild wäre also ein aktuelles Beispiel für Malerei, die auch die religiöse Problematik und Bildsprache aufgreift.
Was meine letzten Arbeiten betrifft, die Pas de Deux-Serie, so ist sie nicht ausdrücklich religiös. Es gibt freilich eine kleine Fußnote, dass Gott ein sehr abstraktes Konzept ist, als grundlegendes Interesse an Abstraktion und die Sehnsucht nach einer tieferen Erkenntnis der Phänomene.
Deine Serie Pas de Deux umfasst aktuell 40 Einzelbilder, die 20 Paare bilden. Jeweils eines ist abstrakt und eines figurativ, und beide sind oft von berühmten und weniger berühmten Kunstwerken inspiriert. Könntest Du uns etwas über Dein Konzept für diese Serie erzählen—woher stammt die Idee, wofür stehen die Paare?
Eine Idee kann sehr unterschiedliche konkrete Gestalten annehmen. Und ich hatte die Intuition, dass die Kontrastierung von Portraits und ungegenständlichen, also rein malerischen Bildern, beide bereichert. Alle Menschen können Gesichter lesen—und im nächsten Schritt dann die malerischen Codes, durch die die visuelle Wirklichkeit eingefangen wird. Auf dem abstrakten Gegenstück ist die Malerei dann befreit von einem Darstellungszwang und darf für sich stehen.
Im Laufe meines Arbeitslebens habe ich mich sozusagen durch die Kunstgeschichte durchgemalt. Ich habe erstmal viele Porträts und biographische Sujets gemalt, dann viele Landschaften, auch innere Szenen, und es hat etwa sieben Jahre gedauert, bis ich begann, die abstrakte Malerei zu verstehen und wertschätzen. Die Freude daran, die einzelnen Pinselstriche und die für das Gemälde getroffenen Entscheidungen zu lesen, ist viel bedeutungsreicher als einfach das Endergebnis als starres Bild anzugucken.
Ich wollte also durch die Gegenüberstellung auch Einblick in die Perspektive des Malers geben. Außerdem geht es um eine geistige Bewegung beim Betrachten: Generell haben wir MalerInnen heute das Problem, dass es so viele Bilder gibt, die immer schneller sind, die immer mehr können. Wie schafft man es also, ein stillstehendes Bild so dicht und so tief zu malen, dass es über das eigentliche Abgebildete hinaus sprechen kann? Was kann man mit der Kontextualisierung, wie es gemalt ist, mit den Gesten und so weiter, sagen? Ich wollte mich mit diesen Fragen auseinandersetzen, um abstrakt zu malen.
Es stellt sich auch die Frage, was man mit abstrakter Malerei überhaupt sagen kann. Was für Nachrichten kann man damit senden? Wie kann der Betrachter das lesen? Ich kann keine Behauptungen aufstellen, ich kann nicht fragen, nichts unmittelbar erzählen. Aber es gibt ja trotzdem Bedeutungsträger und eine Art Grammatik—und genau das sind meine Forschungsfragen.
Die Spielregeln dabei wären etwa: Jedes Paar muss aus einem abstrakten Bild und einem Porträt bestehen. Sie müssen in der Farbe gleich sein und auf der visuell ästhetischen Ebene zusammenarbeiten, in Malweise und Komposition. Zusammenarbeit heißt, dass es entweder eine Harmonie gibt oder einen klaren Kontrast, am Besten beides gleichzeitig. Aber kein zufälliges Nebeneinander.
Interessant ist auch, dass Du die Diptychen auf Holz gemalt hast – ist das auch eine Anspielung auf die alten MeisterInnen?
Das Holz wird manchmal auch mit Leinwand bezogen; es hängt tatsächlich davon ab, welchen Untergrund ich brauche. Ich habe viel recherchiert, und an der Uni hatten wir die Möglichkeit, alte Maltechniken kennenzulernen. Ich verwende auch sehr unterschiedliche Techniken, je nachdem, was gebraucht wird. Ich mag Holz als Untergrund, einfach weil es hart und glatt ist. Für feine Bilder ist es gut, einen stabilen Untergrund zu haben, und es gibt gute Restaurierungsmöglichkeiten.
Ich benutze meist Ölfarben—des Aussehens wegen und weil sie langsam trocken, aber auch, weil man bei Acrylfarben nicht genau weiß, wie lange sie halten werden. Ölfarben können sie mehrere hundert Jahre halten, wenn man nicht zu viel Öl reintut, das dann braun wird, oder andere Spielereien.
Mich fasziniert schon auch diese Ausdauer: Hier in Berlin gibt es ägyptischen Mumien, deren Porträts mit Wachs auf Holz gemalt sind, die weit über 2.000 Jahre alt und sehr, sehr realistisch sind. Es ist sehr unheimlich, wenn dich eine Mutter mit ihren beiden Kindern anschaut und du weißt, dass sie schon seit über 2.000 Jahren tot sind.
In diesem Zusammenhang: Wie wichtig ist für Dich das Medium in deiner Arbeit?
Schon sehr wichtig. Ich mochte das immer ganz gerne, wenn man sich nicht als Künstler im Allgemeinen betitelt, sondern speziell als Maler. Ich brauche immer Regeln und Beschränkungen, und insofern ist es auch eine pragmatische Entscheidung, wenn man sich für die zweidimensionale Malerei entscheidet. Man kann alles abbilden, aber es ist gleichzeitig immer abstrahiert, eine eigene Sphäre.
Ich habe aber auch einige malerische Arbeiten gemacht, die auch eine Verlängerung mit Fotografie, Textdokumentation oder Performance hatten, wo es zum Beispiel darum geht, was passiert, wenn ich einen anderen Menschen male und wie der das findet.
Und wie wichtig ist Farbe für Dich?
Ich bin nicht die größte „Farbsensivitivstin,“ aber ich mag es trotzdem, mich in sie zu vertiefen und habe meine Lieblingstöne. Im Moment habe ich zum Beispiel ein Problem. Ich bereite gerade eine Ausstellung mit Zeichnungen vor und brauche ein ganz leicht getöntes Papier. Für frühere Zeichnungen hatte ich einen zu starken Grauton, und jetzt sind alle Papiere, die ich finde, zu weiß.
Außerdem—das klingt vielleicht ein bisschen esoterisch—Farbe ist dieses prototypische Material per se, und wie man Farbe behandelt, hat vielleicht auch damit zu tun, wie man überhaupt mit Dingen umgeht: Man kann damit heftig, sehr sensibel oder ein bisschen feige verfahren, aber man kann auch versuchen, ganz langsam Perfektion zu erzwingen, oder man kann sehr charmant sein, elegant die Lücken sprechen lassen.
Wie siehst Du die Entwicklung deiner Kunst in der Zukunft?
Weitermachen! Ein Thema hätte ich also abgesteckt, wenn ich sage, dass es in meiner Kunst einerseits um den Zustand des Glaubens gehen soll; inhaltlich gibt es da noch viel zu tun.
Aber ich würde auch sagen, dass dies auch weiterhin meine Mission ist: Wie kann man Leuten diese Produktionsperspektive in der Kunst näherbringen, so dass sie nicht nur verstehen, was das fertige Bild ist, sondern auch, was es bedeutet, ein Bild zu malen, wenn sie es sehen? Insofern wird die Serie Pas de Deux auf jeden Fall fortgesetzt.
Ich arbeite jetzt gerade auch an einer Zeichenserie. Sie ist ein bisschen offener und auch erzählerischer, freier und untersucht ein bisschen die Bedingungen der Möglichkeiten von gezeichneten Bildern. Aber sie ist noch nicht fertig.
Gibt es irgendwelche größeren Projekte, die Du am Horizont siehst?
Ich würde gerne eine Doktorarbeit schreiben! Das muss man aber schauen. Es gibt die Form einer halbtheoretische, halbpraktischen künstlerischen Doktorarbeit. Und ich vermute, dass bei vielen KunsthistorikerInnen dieses [praktisches Wissen] oft fehlt.
Wenn man zum Beispiel darüber spekuliert, warum der Künstler in einem Gemälde Orange verwendet hat, welche Bedeutung hat das? Manchmal lautet die Antwort einfach, dass die rote Farbtube des Künstlers gerade leer war und er nur noch Orange übrig hatte. Ich weiß, dass das natürlich sehr spekulativ ist, aber ich glaube trotzdem, dass es bereichernd wäre, mehr von der Malerperspektive in diesen Dialog einzubeziehen.
Für jeden Künstler besteht sein Werk grundliegend aus Entscheidungen: Mache ich dies? Womit beschäftige ich mich überhaupt? Mache ich dann dies? Oder besser das? Und warum?
Das gilt ja für alle Disziplinen, zum Beispiel Film. Es gibt ein Buch, das ich sehr liebe, es heißt Story und ist von Robert McKee geschrieben. Es ist einfach eine Anleitung, wie man ein Drehbuch schreibt, und wenn du es gelesen hast, wirst du jeden Film ganz anders verstehen. Du merkst auf einmal, welche Entscheidungen getroffen wurden, was sind die Probleme, vor denen zwangsläufig jeder Drehbuchschreiber steht.
Du siehst immer, wie sie diese gelöst haben, und man versteht auch, warum ein Film nicht funktioniert oder warum er funktioniert. Ich glaube, dass man die Arbeit viel mehr genießen kann, wenn man die gute Arbeit sieht. Wenn man diesen Kontext hat, wird der Zauber nicht gemindert.